Vollständigkeit
Grundsatz der Vollständigkeit
Das Vollständigkeitsgebot als einer der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) ergibt sich zum einen aus § 239 Abs. 2 HGB: Eintragungen in Büchern (das heißt die Buchführung) müssen vollständig vorgenommen werden.
Zum anderen hat der Jahresabschluss nach § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten sowie Aufwendungen und Erträge zu enthalten.
Ein Verstoß gegen das Prinzip der Vollständigkeit wäre verheerend, zum Beispiel wenn der Kaufmann wesentliche Schulden (etwa Bankkredite) aus der Bilanz "weglassen" würde — die Vermögenslage wäre nicht richtig dargestellt und die Bilanz wäre nahezu wertlos.
Das Vollständigkeitsgebot bedeutet beispielsweise auch, dass bei der Inventur Handlager und Außenlager mit erfasst bzw. gezählt werden.
Vollständigkeit betrifft nicht nur das, was man sieht (das Vermögen, Belege, Verträge); problematischer ist das, was man nicht sieht (zum Beispiel Risiken, die zu Rückstellungen führen; Abwertungsbedarf und so weiter): das Unternehmen muss hier Prozeduren festlegen, wie es derartige Risiken rechtzeitig und vollständig erkennen kann.
Alternative Begriffe: Vollständigkeitsgebot, Vollständigkeitsprinzip.
Aktivierungspflicht und Passivierungspflicht
Es besteht somit eine generelle Aktivierungspflicht bzw. Passivierungspflicht, sofern nicht explizit vom Gesetz (HGB) Ausnahmen zugelassen werden, zum Beispiel
- das Aktivierungswahlrecht für selbstgeschaffene immaterielle Anlagegüter nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB sowie die Aktivierungswahlrechte für Disagio oder aktive latente Steuern oder die
- Bilanzierungsverbote des § 248 Abs. 1 HGB für Gründungsaufwendungen (zum Beispiel Notarkosten, Handelsregistergebühren), Eigenkapitalbeschaffungskosten und Versicherungsabschlussaufwendungen sowie des § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare Vermögensgegenstände des Anlagevermögens.
Wirtschaftliches Eigentum
§ 246 Abs. 1 Satz 2 HGB konkretisiert die vollständige Aufnahme der Vermögensgegenstände: diese sind in der Bilanz des Eigentümers (rechtlicher Eigentümer) aufzunehmen (Grundsatz).
Ist ein Vermögensgegenstand jedoch einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen (wirtschaftliches Eigentum, siehe auch die steuerliche Definition in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO), so hat dieser den Vermögenswert in der Bilanz anzusetzen.
Beispiele für wirtschaftliches Eigentum
Eigentumsvorbehalt
Bei einem Gegenstand, den das bilanzierende Unternehmen unter Eigentumsvorbehalt geliefert bekommt, ist der Lieferant (bis zur Bezahlung der Rechnung) rechtlicher Eigentümer, das belieferte Unternehmen ist jedoch der wirtschaftliche Eigentümer (es nutzt oder verarbeitet den Gegenstand) und bilanziert den Vermögensgegenstand (zum Beispiel in den Vorräten oder im Anlagevermögen).
Sicherungsübereignung
Ein weiteres Beispiel für das Auseinanderfallen von rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum ist die Sicherungsübereignung: der Sicherungsgeber nutzt zum Beispiel die sicherungsübereignete Maschine weiterhin und ist auch dafür verantwortlich (Schutz gegen Diebstahl, Beschädigung).
Kommissionsware
Bei einem Kommissionsgeschäft (§§ 383 ff. HGB) verkauft der Kommissionär Waren für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) in eigenem Namen.
Beispiel: Kommissionsgeschäft
Ein Motorradhersteller gibt als Kommittent einem Fahrradladen (Kommissionär) Motorräder in Kommission.
Der Motorradhersteller liefert 5 Motorräder an, die im Laden ausgestellt werden.
Der Fahrradhändler verkauft die Motorräder auf Rechnung des Kommittenten (aber in eigenem Namen; das heißt, für den Käufer ist der Fahrradhändler der Ansprechpartner).
Der Hersteller als Kommittent bilanziert die 5 Motorräder weiterhin als wirtschaftlicher Eigentümer in seinem Vorratsvermögen, in der Bilanz des Fahrradhändlers tauchen die Motorräder nicht auf.
Treuhandverhältnis
Bei einem Treuhandverhältnis erfolgt die Bilanzierung beim Treugeber, nicht beim Treuhänder.
Fazit
Das Vollständigkeitsgebot als einer der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bedeutet zum Beispiel bei einem Baumarkt, dass alle Vermögenswerte (jede Schraube, jeder Farbeimer, jedes Regal …) im Inventar und in der Bilanz erfasst sein müssen – das sind Millionen von Teilen.
Ebenso müssen die Schulden (Bankkredite, offene Lieferantenrechnungen …) vollständig erfasst sein.
Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, die als Aktivierungswahlrechte und Bilanzierungsverbote im HGB stehen.
In einigen wenigen Fällen ist mitunter unklar, wer Eigentümer eines Vermögenswerts ist und diesen damit in seiner Bilanz aufnehmen muss – entscheidend ist, wer wirtschaftlicher Eigentümer ist (in der Bilanzierung hat dieser Vorrang vor dem rechtlichen Eigentümer).