Erwartungswert
Erwartungswert Definition
Der Erwartungswert μ (gesprochen: mü) ist der Wert, den man erwarten kann, wenn man ein Zufallsexperiment sehr oft durchführt bzw. der Wert, der sich ergibt, wenn man Ergebnisse (zum Beispiel €-Beträge) mit ihren Wahrscheinlichkeiten multipliziert.
Die möglichen Ergebnisse werden mit den Wahrscheinlichkeiten gewichtet (die verwendeten Wahrscheinlichkeiten sind in Summe immer 1 bzw. 100 %).
In Kurzform (für 2 Ergebnisse A und B):
Erwartungswert μ = (Wahrscheinlichkeit für A × Ergebnis A) + (Wahrscheinlichkeit für B × Ergebnis B)
Formel
Die allgemeine Formel für den Erwartungswert:
$$\mu = E(X) = \sum_{i=1}^n x_i \cdot p_i$$
Dabei ist
- $x_i$ der jeweilige Wert, den die Zufallsvariable X annimmt;
- $p_i$ die jeweilige Wahrscheinlichkeit, mit der die Zufallsvariable diesen Wert annimmt;
- n die Anzahl der Werte, welche die Zufallsvariable annimmt.
Beispiel
Beispiele: Erwartungswert berechnen
Beispiel 1: Münzwurf
Man wirft eine 1-Euro-Münze auf den Boden.
Ist die 1 oben, erhält man einen Euro, ist die Rückseite oben, erhält man nichts.
Die Wahrscheinlichkeit, dass 1 oben liegt ist 50 %, ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass die Rückseite oben liegt (den unwahrscheinlichen Fall, dass die Münze auf der Seite stehen bleibt, lassen wir außer Acht).
Der Erwartungswert dieses Spiels ist:
μ = 50 % × 1 € + 50 % × 0 € = 0,50 €.
(Der Erwartungswert ist insofern ein "theoretischer Wert" als er sich so hier nicht realisieren wird — entweder man hat nach dem Spiel 1 € oder 0 €, aber keine 0,50 €).
Beispiel 2: Roulette
Beim Roulette gibt es die Zahlen 1 bis 36, auf die man setzen kann sowie die Zahl 0 (in Summe also 37 Möglichkeiten).
Die Hälfte der Zahlen 1 bis 36 ist rot, die andere Hälfte schwarz, die Null ist grün.
Setzt man auf eine Farbe 1 € und die Kugel fällt auf eine Zahl mit der Farbe, erhält man das Doppelte zurück (den Einsatz von 1 € sowie 1 € Gewinn); ansonsten (es kommt die andere Farbe oder 0) ist der Einsatz weg.
Setzt man 1 € auf Rot, ist der Erwartungswert:
μ = 18/37 × 2 € + 19/37 × 0 € = 0,97 € (gerundet).
Sitzt man einen Abend mit 100 € Startkapital im Spielkasino und setzt 100 mal je 1 € auf Rot, kann man davon ausgehen, dass man mit 97 € nach Haus geht.
Je öfter man spielt, umso eher pendelt sich das tatsächliche Ergebnis beim Erwartungswert ein.
Beispiel 3: Würfel
Man würfelt und erhält die Augensumme in Euro.
Der Erwartungswert dieses Spiels ist dann:
μ = 1/6 × 1 € + 1/6 × 2 € + 1/6 × 3 € + 1/6 × 4 € + 1/6 × 5 € + 1/6 × 6 € = 3,50 €.
Würde einem dieses Spiel zu einem Preis von 3 € angeboten, legt der höhere Erwartungswert nahe, dass man als risikoneutraler Spieler darauf eingehen wird.
Anwendung
Erwartungswerte werden zum Beispiel
- durch Versicherungsunternehmen berechnet (Erwartungswert von Schadenereignissen, zum Beispiel Unfälle, Naturkatastrophen und so weiter),
- für Unternehmensplanungen auf Basis verschiedener Szenarien (gute, mittlere, schlechte Konjunktur) genutzt oder
- für die Wertermittlung von Anleihen auf Basis von Ausfallwahrscheinlichkeiten verwendet.
Erwartungswert und Varianz
Oft interessiert neben dem Erwartungswert die dazugehörige Varianz (oder die daraus ableitbare Standardabweichung).
Im Beispiel des Münzwurfs beträgt die Varianz: 0,5 × (1 Euro - 0,50 Euro)2 + 0,5 × (0 Euro - 0,50 Euro)2 = 0,5 × 0,25 + 0,5 × 0,25 = 0,25.
Die Standardabweichung als Quadratwurzel der Varianz ist dann 0,5 (Euro).
Der Erwartungswert bei einem einmaligen Münzwurf ist 0,50 Euro, die Standardabweichung beträgt 0,50 Euro. Das bedeutet: man kann bei einem Münzwurf mit einem Gewinn von 0,50 Euro rechnen, allerdings ist die mögliche Schwankungsbreite 0,50 Euro (nach unten, dann erhält man nichts oder nach oben, dann erhält man 1 Euro).
Die Varianz des Erwartungswertes kann auch mit dem Verschiebungssatz berechnet werden.
Erwartungswert vs. Mittelwert
Der Erwartungswert ist eng mit dem gewichteten arithmetischen Mittelwert (Durchschnittswert) verwandt; letzterer bezieht sich allerdings auf aktuell vorliegende bzw. in der Vergangenheit erhobene Werte während der Erwartungswert sich auf künftige mögliche Ergebnisse bezieht.
Im Gegensatz zu den obigen Beispielen, bei denen die Wahrscheinlichkeiten bekannt sind, müssen diese – und teilweise auch die Ergebnisse – in der Praxis oft geschätzt werden.
Angenommen, eine Unternehmensanleihe mit einem Nominalbetrag von 1.000 € notiert an der Börse gerade mit 600 €.
Das Unternehmen, das die Anleihe herausgegeben hat, ist in finanziellen Schwierigkeiten. Sie schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen in die Insolvenz geht mit 30 % ein (im Umkehrschluss: zu 70 % überlebt das Unternehmen und zahlt die 1.000 € zurück) und gehen für diesen Fall von einer Insolvenzquote von 20 % aus (das Unternehmen würde dann von den 1.000 € nur 200 € zurückzahlen).
Der Erwartungswert ist: μ = 30 % × 200 € + 70 % × 1.000 € = 60 € + 700 € = 760 €.
Der Erwartungswert ist mit 760 € höher als der Börsenpreis von 600 €; allerdings beruht die Berechnung auf 2 letztlich subjektiven Annahmen bzw. Schätzungen.